Coco Marittima

Information

This article was written on 23 Nov 2018, and is filled under Artikel & Texte.

Der Steve McQueen vom Meer

Typen wie ihn gibt es nicht mehr. 1969 kauft der Friedensaktivist Abie Nathan, unter anderem mit Spenden von John Lennon, ein 52 Meter langes Schiff, baut es zum Radiostudio um und gründet den Piratensender The Voice of Peace. Ab 1973 sendet er «von irgendwo aus dem Mittelmeer», meist 15 Meilen vor Israels Küste. Er holt DJs aus dem englischsprachigen Raum, die in der Region nie gehörte Popmusik spielen. Und die Station wird zum perfekten Instrument, um für den Frieden zwischen Juden und Arabern zu kämpfen.

Abie wartet Zeit seines Lebens nie, bis offizielle Stellen etwas unternehmen, er schreitet stets selbst zur Tat. Als persischer Jude in Bombay aufgewachsen, tritt er mit 17 Jahren der britischen Royal Air Force bei und fliegt später für die israelische Armee. Dabei tötet er Menschen, was er sich nie vergibt. Anfangs der 60er-Jahre steht er in seinem Bohème-Café California in Tel Aviv, in seinem Kopf klickt ein Schalter und er wird zum Friedensaktivist. Als er 1966 ein Kleinflugzeug mietet und mit einer Friedensbotschaft zu Israels Erzfeind nach Ägypten fliegt, wird Abie, ein Mix aus Playboy und Gandhi, weltweit bekannt. Er hilft ausserdem Bedürftigen in Biafra, Nicaragua, Kambodscha oder Äthiopien. Sein Baby ist aber The Voice of Peace. Bis zu 20 Millionen Menschen hören hin, wenn er von irgendwo aus dem Mittelmeer sendet. 24 Stunden pro Tag. In English, etwas Hebräisch, Arabisch und Französisch. Werbeeinnahmen spendet er. Als Coca-Cola sich weigert Spots zu schalten, wird Abies Ruf Shtu Maim (Trinkt nur Wasser) unter den Jugendlichen trendy und sie befolgen ihn. Irgendwann lenkt Coca-Cola ein.

Abie macht es nichts aus, dort draussen zu sein: «Die Luft ist rein und das Meer ist der Wahnsinn.» Jeden Abend sendet er bei Sonnenuntergang dieselbe Message: «Sie hören die The Voice of Peace, gesendet irgendwo vom Mittelmeer. Jetzt, da die Sonne untergeht, wird die The Voice of Peace ihre Sendungen für die Dauer von 30 Sekunden aussetzen – in Erinnerung an alle Opfer von Gewalt in dieser Region und überall auf unserem Planeten.»

Die israelische Regierung war selten entzückt von seinen Aktivitäten. Den Silvester 1976 verbringt er mit seinem Radioschiff im Suez-Kanal. Er trifft sich öfters mit Palästinenserführer Yassir Arafat. Damals beides kriminelle Akte für einen Israeli, er landet dafür 1989 und 1991 im Gefängnis. Dann 1993 endlich: Palästinenser und Israeli reichen sich beim Friedenabkommen von Oslo die Hand. Deswegen und wegen finanzieller Probleme geht Abies Odyssee zu Ende: Er versenkt sein Schiff. Der letzte gespielte Song: Pete Seegers We Shall Overcome.

Doch der Frieden hält nicht und Abie Nathan stirbt 2008. Ging die Sonne damit endgültig unter? Nein. 2010 erwacht The Voice of Peace zu neuem Leben mit alten und jungen DJs. Sie dürfen noch immer nicht regulär senden, ihr Sendeschiff ist heute das Internet. Und jeden Abend spielen sie bei Sonnenuntergang Abies Message – und niemand kann sie aufhalten.

http://thevoiceofpeace.co.il

(Erschienen in: marina.ch, 2018)

 

Schreibe einen Kommentar