Coco Marittima

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This article was written on 16 Dez 2018, and is filled under Artikel & Texte.

Im Rösterreich

(marmite) Wenn sie etwas interessiert, lassen sie nichts anbrennen. Das war schon immer so. Wie die Sache mit dem Kaffee. Zu Besuch bei Mira Hochstrasser und Mario Waldispühl, den Gründern und Betreibern der Mikro-Kaffeerösterei El Imposible Roasters im luzernischen Horw.

Bräuchte Glück ein Bild, wäre es jenes der ungestüm durchs Gras hüpfenden elf Säuli auf dem Mättiwil-Hof in St. Niklausen. Die sechs Wochen alten Ferkel grasen, suchen nach Wurzeln oder stippen freudig ihre Schnauze in den Morast, stets bewacht von den zwei Muttersäuen. Hier kaufen Mario und Mira ihr Fleisch ein. Mira bewundert die behornten Kühe auf der Weide dahinter, während Mario mit Ueli Unternährer unter dem Nussbaum steht. Sie gestikulieren, reden über die Qualität von Fleisch. Hier stimmt sie. Ueli ist Bauer des Hofes und Verwaltungspräsident der Ueli-Hof AG, einer Bio-Erzeugergemeinschaft mit 25 gleichgesinnten Bauern der Region. Ihr Credo: Achtsam mit den Tieren umgehen, sie ihren natürlichen Trieb ausleben lassen und ihnen ein schönes Zuhause geben. Die Mättiwil-Säuli gehören zur Rasse der einst fast ausgestorben Hampshire. Sie sind robust und ziehen ihre Würfe selbst gross. Bis sie 10 Monate alt sind. Dann begleitet Ueli jedes Säuli in die Biofleisch-Manufaktur in Ebikon, Teil der Ueli-Hof AG, wo sie sterben wie sie leben durften: würdevoll.

Fairer Kaffee ohne Chichi

Mit zwei Schweinskoteletts vom Hofladen im Gepäck fahren Mira und Mario nach Horw in ihre Kaffeerösterei, die El Imposible Roasters. Kaum sind sie durch die grüne Holztür in den Hauptraum getreten, füllt Mira frischgemahlenen Kaffee in den Siebträger und steckt diesen in die italienische La Marzocco-Kaffee­maschine. Karmin, eine ihrer vier Kaffeesorten und die dunkelste Röstung fliesst wie schwarzes Gold in die Tasse. Mario bindet sich eine schwarze Schürze um und legt ein knappes Dutzend Eier in den Sous-Vide-Garer. Sie kennen und lieben sich ein halbes Leben, seit sie 16 sind. Wo sich die zwei Luzerner getroffen haben? An der Fasnacht natürlich. Mario ist der Impulsivere der beiden. Kein Wunder bei einem Konsum von bis zu 30 (!) Espresso an einem Tag. Mira lacht. Sie ist die Ruhige­re, die Perfektionistin. Ihr reichen drei bis vier Tassen Kaffee täglich.

Das Motto ihrer Kaffeerösterei ist so simpel wie bestechend: Vom Feld in die Tasse. Sie umgehen den Weltmarkt und bezahlen die reinen Arabica-Bohnen den Kaffeebauern direkt und fair. In El Salvador haben sie ihren persönlichen Kontaktmann. In Uganda hingegen kennen sie die zwei Farmer persönlich, Mira war 2017 dort.

Etwa zwei Monate sind die Container vom Tropengürtel unterwegs, bis sie auf Paletten in der Rösterei ankommen. «Da haben wir auch Lehrgeld bezahlt», erzählt Mira. «Einst krachte eine Palette mit 700 kg Rohkaffee durch unseren Holzboden.» Die beiden lachen. «Zum Glück ist mein Vater Schreiner.»

Trüffel, Geld und Leidenschaft

Und dann kommt Luffa, eine 8½ Jahre alte Lagotto-Romagnolo-Trüffelhündin. Ihr Herrchen ist Marios Trüffellieferant. Die Beute: Ein 120 Gramm schwerer Burgundertrüffel vom Rigihang in Herzform. Erdig sein Geruch. Trüffel kommen in der ganzen Schweiz vor, meist unter Buchen und Haselsträuchern in kalkigen Böden. Mario hobelt den Trüffel über die Vorspeise: Geröstete Pumpernickelbrösel unter einem halbflüssigen Stunden-Ei mit einem luftigen Kartoffel-Espuma. Die Kon­sistenzen und Aromen vereinen sich zu einem Spektakel, die Geschmacks­knospen jubilieren. Luffa schwänzelt. Natürlich bekommt auch sie ein Schälchen ab. Obwohl: Salat mit Olivenöl wären ihr lieber – der Gourmethündins Leibspeise (!).

In Miras und Marios Rösterei pulsiert das Leben. Lieferanten, Kunden und Freunde schauen vorbei, verweilen am langen Stehtisch, trinken Kaffee. Die Kaffeesensorik ist ganz klar Miras Domäne. Sie ist die Rösterin, Mario kümmert sich um den Verkauf.

Mario dämpft in der Küche Schalotten und Zwiebeln an. Er hat die funktionale Küchenzeile selbst eingebaut. Das Gastgeber-Menu kocht er auf zwei mobilen Induktionsplatten, daneben befinden sich Küchenmaschine und Sous-Vide-Garer. Der Ofen steht separat, die Glacémaschine auf dem Holzboden. Weiter hinten im Raum stapeln sich die Rohkaffeesäcke. Wie sind sie auf den Kaffee gekommen? Er dreht sich um, schaut Mira an. «Es gibt nirgends guten Kaffee, so wie ich ihn mir vorstelle. So fing es an.» Aha. Doch, es ist noch ein grosser Schritt vom Gedanken zur Tat. Mario grinst. Der Hügelzug El Imposible in El Salvador, von wo ihr erster Rohkaffee stammte, steht Pate für den Firmennamen «El Imposible Roasters». Es ist ein unmögliches Projekt, das möglich wurde – finanziert mit Geld aus Crowd Founding und privaten Investitionen. Sie tauschten Luxus und Karriere gegen Zeit und Leidenschaft, haben ihren Lebensstandard runtergefahren. «Der Rest ist Vertrauen in uns selber», meint er. Viele Grossröstereien mit enormem Marketingbudget fahren inzwischen eine Fair-Trade-Linie. Aber es ist niemals dasselbe. Die grösste Hürde sei es, als Rösterei wahrgenommen zu werden. Das braucht Aufwand und Energie. Er redet sich so ins Zeug, plötzlich zischt es hinten, die milchige Polenta kocht über. Mario wischt die Platte sauber und weiter geht’s.

Samtkissen mit Knochen

Dann endlich, die Säuli-Koteletts vom Ueli-Hof. Wie Samtkissen mit Knochen liegen sie neben der Pfanne. Mario brät sie in der heissen Pfanne an, es zischt und feine Röstaromen erfüllen die Luft. Im Ofen garen sie ihrer Perfektion entgegen. Dann schlägt Mario seine Messertasche auf. «Mein Kapital», sagt er konzentriert, schneidet die zarten Koteletts in drei Millimeter breite Tranchen, richtet sie auf der Polenta an, drapiert die Dörrbohnen, setzt zwei Kräutlein. Und dann Gabeln rein – der Rest ist Schweigen. Und geniessen.

Mira steht an der Röstmaschine im Parterre, dem Herzstück der Rösterei. Schwarz und mächtig erinnert die deutsche Probat-Maschine an eine Dampflok und kostet dabei so viel wie ein Mittelklassewagen. Sie füllt die nach Heu duftenden grünen Rohbohnen in den Trichter, sie enthalten 9–12 Prozent Feuchtigkeit. Beim Rösten zwischen 100 bis 250 Grad wird die Feuchte gasförmig, es entsteht ein Druck, der zu einer Art Popcorn-Effekt führt. Am Ende sind die dunklen Bohnen bis zu einem Drittel grösser. 15 bis 20 Minuten dauert der Prozess. Die genauen Röstkurven sind das Betriebsgeheimnis. Maximal 12 Kilo fasst die Trommel und einmal pro Woche wird geröstet – etwa zehn Tonnen pro Jahr. Als Vergleich: Bei der weltbekannten Kaffeekapselfirma sind es über 40’000 Tonnen.

Wo sehen sich Mira und Mario in fünf Jahren? Sie überlegen. «Wir wollen ein Nischen-Unternehmen bleiben, das in sich funktioniert und selbsttragend ist.» Zurzeit vertreiben sie sieben Kaffeesorten in der Gastronomie, im Globus und im Quai-4-Markt in Luzern und online. Auch im Angebot: Der Pergamino, ein Koffein-Sirup aus getrockneten Pergamenthäutchen der Kaffeekirsche. In der Küche riecht es süsslich. Mario schlägt Eiweiss mit Zucker steif. Mischt es unter den Teig, streut Rosinen darüber und bäckt den Teig in einer flachen Pfanne an. Kaiserschmarrn! Eine Reminiszenz an seine österreichische Mama. Noch muss die Süssspeise im Ofen fertig backen, bevor sie in kleinen fluffigen Stückchen auf Apfelkompott zur Ruhe kommt. Eine Wolke aus Sauerrahmglacé legt sich neben die Süsse. Augen zu und träumen.

Mira und Mario. Sie sind tatkräftig, drängen sich aber nie auf. Beide widmen sich stets eigenen Projekten, damit sie auch in Zukunft zwei Personen bleiben. Was ist ihr grösster Traum? Mario grinst: «Ein Haus in Island?» Island lieben sie beide, den Norden, die Kälte. Doch viel wichtiger sei es, stets spannende Projekte zu haben. Momentan versuchen sie mehr zu leben. Mira kann es besser. Mario muss nach 17 Jahren in der Spitzengastronomie erst wieder lernen mit einer Fischerrute drei Stunden am See zu sitzen und nichts zu fangen – ohne das Gefühl, heute nichts vollbracht zu haben.

Publiziert im Dezember 2018 in der Zeitschrift „marmite – New Swiss Cuisine“,  marmite.ch
(Text: Corinne Nusskern, Fotos: Christine Benz)

www.roasters.ch

www.marmite.ch

PDF des Artikels (inkl. Rezepte)

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