Coco Marittima

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This article was written on 16 Dez 2018, and is filled under Artikel & Texte.

Brückenbauer

Still ist die Nacht. Vor allem für Seeleute, die zur Weihnachtszeit fern von daheim, irgendwo auf den Weltmeeren ihren Dienst tun. Sehr still. Aber nur, bis an Heiligabend der NDR mit der Ausstrahlung der Radio­sendung Gruss an Bord beginnt! Da werden akustische Grussbot­schaften von den Liebsten zu Hause an Seeleute gesendet, die auf den Ozeanen unter­wegs sind. Und umgekehrt. Und dies bereits seit 1953. Jahrzehnte bevor es Smartphones, Chat-Apps und Skype gab. Doch, was nützen all diese modernen Kommunikations­mittel, wenn es mal wieder keine Verbindung auf See gibt? Damit alle die Sendung empfangen können, ist sie nicht nur per UKW, DAB und Livestream zu hören, sondern auch auf Kurzwelle. Da scheint die geographische Distanz nach zuhause plötzlich etwas zu schrumpfen. Zudem ist eine persönliche Botschaft, die durch den Äther rauscht und von Millionen gehört werden kann, viel beseelter. So manch gestandener Seemann bekommt da feuchte Augen, wenn die Mama mit zittriger Stimme liebe Worte ins Mikrofon spricht.

Das drei­stündige Radioformat ist untermalt von Musik, oft von Seemannsliedern. 90 bis 120 Gäste sind mit Herz und Seele dabei, wenn die lieben Botschaften vorgängig in Hamburg und im ostfriesischen Leer aufgezeichnet werden. «In der Regel grüssen wir auf Deutsch. Aber oft sind auch Gesprächspartner aus anderen Ländern da», sagt Wolfgang Heinemann, Redaktor und Verantwortlicher für die Musikauswahl. «Dann über­mitteln wir gern Grüsse in deren Sprache, ob in Englisch, Schwedisch, Russisch oder Tagalog. In diesem Jahr erstmals auch auf Kiribatisch.» 1,2 Mil­lionen Menschen arbeiten weltweit in der Seeschifffahrt – auf Container- und Passagierschiffen, Jachten, Massen­gut­frachtern und Tankern, bei der Marine oder auf Bohrinseln.

Das Ganze ist hoch emotional. Wolfgang Heinemann: «Zum Beispiel, wenn der Sohn oder die Tochter erstmals über Weihnachten nicht zu Hause, sondern irgendwo im Pazifik auf einem Containerschiff unterwegs ist.» Einmal wurde gar einem Seemann der erste Schrei seines Neugeborenen live aus dem Kreisssaal übermittelt. Wolfgang Heinemann erinnert sich an eine weitere Begebenheit: «Vor zwei Jahren hatten wir in der Hamburger Seemannsmission Duckdalben eine junge Frau, die hat ihrem Seemann, der sich auf einem Frachter vor den Philippinen befand, einen Heiratsantrag gemacht. Ihre Stimme stockte, ebenso die der Moderatorin. Wir mussten die Aufzeichnung kurz unterbrechen.» In solchen Momenten kramen auch viele unbeteiligte Zuhörer nach Taschentüchern. Die Traditionssendung ist wichtig, vermittelt sie doch den Seeleuten, dass sie an Heiligabend nicht allein sind.

Von unbedarften Landratten wird die Sendung oft als Tränenolympiade bezeichnet. Doch: Gruss an Bord ist ein Herzwärmer und vielfach auch emotionaler Rettungsanker. Denn für all die Seeleute, die irgendwo weit draussen auf dem Meer sind, zieht sich ein ganz normaler Stern für einen kurzen Moment in die Länge – und wird zum Stern von Bethlehem.

NDR Info und NDR 90,3, 24. Dezember 2018, 20 Uhr

www.marina.ch

Publiziert im nautischen Magazin „marina.ch“, Dezember 2018
(Text: Corinne Nusskern)

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