Coco Marittima

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This article was written on 04 Feb 2024, and is filled under Meergeschichten.

Hunderttausend heulende und jaulende Höllenhunde

Es gibt Kapitäne und Kapitäne, es gibt Popeye und Corto Maltese, und es gibt Käptn Haddock, den saufenden und fluchenden Seemann aus den Tim & Struppi-Comics. Der Seebär im blauen Rollkragenpulli mit Ankermotiv, schwarzer Jacke und Kapitänsmütze ist raubauzig und unmanierlich. Und seit seinem ersten Auftritt in Band acht «Die Krabbe mit den Goldenen Scheren» (1940) bleibt er bis zum 25. Band und bitteren Ende der Comicreihe der absolut stärkste Charakter, ein Seeheld nach altem Tau und Rigg.

Er trinkt Loch Lomond-Whisky aus der Flasche und nährt seine Wutausbrüche mit Flüchen, die er zu jeder Gelegenheit und allen Schurken dieser Welt in die Fratze schleudert. Söldnerseelen, Schnapphähne, Quartalssäufer und Hunderttausend heulende und jaulende Höllenhunde! Tim schafft es, den versoffenen Rabauken halb gesellschaftstauglich zu machen. Die Freundschaft zwischen den ungleichen Gesellen wird mit jedem gemeinsam bestrittenen Abenteuer tiefer – ob während stürmischen Reisen zu fiktiven Bananenstaaten oder an Meerferne Orte wie dem Tibet, auf den Mond oder in die marokkanische Wüste.

Haddock ist ein wahrer Seebär, navigiert mit Sextant und Fernglas und fährt jeden Anker sicher ein. Er ist kein Zögerich, packt hilfsbereit zu, bleibt jedoch ein ungeschickter Pechvogel. Angst hat er nur vor den Arien der Operndiva Castafiore, diese erinnern ihn «an den Hurrikan, der uns packte, als wir vor den Antillen kreuzten.» Zum Glück bleibt er fehlbar, grob und sarkastisch, greift ab und an zur Flasche und erfreut mit Flüchen: Sklavenhalter, Süsswasserastronauten oder Hagel und Granaten! Einige Tiraden ziehen sich über eine halbe Seite hinweg, auf deutsch sind 221 Flüche überliefert. Man vergönnt dem Choleriker den schlechten Charakter, denn er hat ein edles Herz und eine grandiose Mimik. Käptn Haddock setzt den farbigen Gegenpart zum anständigen Reporter und Detektiv Tim, der böse gesagt, ein Klischee des Tugendwahns ist.

Dann der Wandel: Mit dem Finden des verschollenen Piratenschatzes aus Zeiten seines Vorfahren Frantz Ritter von Hadoque, kauft Haddock den Familiensitz Schloss Mühlenhof zurück. Als Neuadliger legt er die Seemannskluft ab, reitet auf Pferden, trägt ein Monokel und befehligt den Diener Nestor. Langfristig ist das kein Leben für einen Seebären. Was ist der Leser froh, als er aufs Meer zurückkehrt! Genauso wie über seine wiederkehrenden Abstürze, obwohl er das Amt als Präsident des Society of Sober Sailors innehat – jedoch mit einer Kajüte voller Loch Lomond-Whisky.

Dass er das Alter Ego seines belgischen Zeichners Hergés sei, hat dieser nicht bestätigt, sagte jedoch einst in einem Interview, dass er Haddock, wenn er wütend ist, sehr ähnlich sei. Käpt’n Haddock, der Archetyp eines Seebären erhält von ihm erst in Band 23 «Tim und die Picaros» einen Vornamen: Archibald. Besser geht’s nicht – Ihr Säbeltürken und Schrumpfgermanen!
(Publiziert November 2023, Marina)

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